Wenn zwei Kletterer eine Wand hochsteigen, macht einer den sogenannten Vorstieg. Er schlägt die Haken in die Wand und hängt das Seil ein. Sein Kletterpartner unterhalb sorgt für die richtige Spannung des Seils, die nicht zu stark und nicht zu schwach sein soll.

Beide sind immer eingehakt und gesichert. Fällt einer runter, sollte der Fall höchstens einige Meter betragen können. Es gibt praktisch keine Situation, in der sich einer am Seil festhält, das der andere in der Hand hat. Zumindest nicht in der Kletterei. In vielen anderen Bereichen schon. Wenn man entweder auf die Kraft oder das Wohlwollen eines anderen angewiesen ist. Und der Fall deutlich weiter als ein paar Meter betragen würde. In Partnerschaften – gleich welcher Art – kann es vorkommen, dass einer immer vorausgeht und den anderen mitzieht. Oder sich jemand an einen Menschen oder an ein Projekt dranhängt und sich in eine komplette Abhängigkeit begibt. „Nur wenn ich diesen Menschen haben kann, geht es mir gut“ oder „Nur wenn dieses Projekt gelingt, bin ich erfolgreich“ sind Beispiele von Gedanken in solchen Seilschaften ohne Sicherungshaken. Wagemut und Entschlossenheit werden oft belohnt. Es spricht aber nichts dagegen, einen möglichen Absturz zu begrenzen, indem Sie Ihr Seil bei alternativen Etappenzielen einhängen und im schlimmsten Fall dort landen. Überprüfen Sie Ihre Lebensumstände, welche Seile und Kletterpartner es gerade gibt – und wo der nächste Haken unter Ihnen ist. Dann können Sie wieder entschlossen nach oben blicken.
Endlich erhältlich: Das Buch zur Kolumne! Auf den Punkt