Leiden ist nicht bewundernswert!

Es fängt mit „harmlosen“ Ereignissen an: Mal beim Zahnarzt auf die Spritze verzichtet oder sich beim Laufen besonders gequält zu haben. Gerne erzählt man dann von seinem Leiden und erntet dafür Bewunderung. Zeugt es doch von einer gewissen Stärke und Leidensfähigkeit.

Besonders die Leidensfähigkeit wird von vielen Leistungssportlern gepriesen und gilt als erstrebenswert. Denn ohne die Bereitschaft, immer wieder mal über seine Grenzen zu gehen, wird man seine Grenzen auch nicht ausdehnen können. Was ist aber, wenn diese positive Einstellung zur Leidensfähigkeit auch im Alltag dazu führt, alles alleine lösen und keine Hilfe in Anspruch nehmen zu wollen? Ist es wirklich bewundernswert, wenn man in seinem Beruf, in seiner Beziehung oder einfach mit sich selbst leidet, obwohl es hier gar keinen Grund gibt, seine Grenzen auszuloten? „Das schaff ich schon alleine“, heißt es dann. Würden Sie jemanden bewundern, der bei einem Beinbruch auf jede Hilfe verzichtet? Oder würden Sie diese Person für ziemlich dumm halten? Dass es auch psychische Brüche gibt, die nicht einfach so zusammenwachsen, wird manchmal vergessen. Und gerade in diesem Bereich glauben viele noch, dass sie es unbedingt alleine schaffen müssen. Teils schmunzelnd, teils entsetzt blicken wir heute ins Mittelalter zurück, wie damals Knochenbrüche geheilt wurden. Wie wird man in ein paar hundert Jahren auf uns zurück blicken? Insbesondere auf die Leidensfähigkeit, auf die man damals offenbar sehr stolz war? Hoffentlich mit viel Kopfschütteln, denn dann gab es auch hier eine Entwicklung. Und damit können wir bereits jetzt anfangen.