Ihre meinung zählt, nicht immer

Lesen Sie nur die ersten beiden Sätze, etwas weiter unten noch ein Wort und dann noch die letzten drei Wörter. Dann versuchen Sie jemanden zu erzählen, was in der heutigen Kolumne stand. Haben Sie es versucht? Vielleicht waren Sie nah dran, vielleicht aber auch ganz weit weg. Noch schwieriger wird es bei einem Buch, in dem Sie auf jeder Seite nur einen Satz lesen und am Ende eine Zusammenfassung schreiben sollen. Kommt Ihnen eine solche Übung absurd vor? Gut.

Nicht selten tun wir aber genau das. Wir fügen aus ganz wenigen Informationen eine Geschichte zusammen. Meistens zu einer Geschichte, die wir gerne erzählen möchten, weil Sie dem entspricht, was wir glauben wollen. Das tun wir nicht nur beim Geschichtenerzählen. Wir interpretieren, bilden uns eine Meinung und treffen danach Entscheidungen. Bei einem Buch können wir das sehr leicht optimieren, indem wir es einfach vollständig lesen. Wenn es um Entscheidungen geht, ist es schwieriger, alle Informationen zu beachten, da wir danach suchen müssten. Es ist so, wie wenn Sie statt dem Buch ein Manuskript hätten, von dem die Kapitel irgendwo verstreut herumliegen. Wenn wir mit unseren Interpretationen möglichst richtig liegen wollen, brauchen wir dafür mehr Infos als wir im ersten Moment zur Verfügung haben. Daher sind schnelle Interpretationen und Meinungen meistens falsch. Nicht immer werden wir uns die Mühe machen wollen, genau zu recherchieren, zu überlegen, andere Menschen zu fragen – und unsere eigene Meinung zu hinterfragen. Die Alternative dazu muss keine schnelle Meinung sein, sondern etwas viel Ehrlicheres: Einfach mal gar keine Meinung zu haben.