Es ist eine merkwürdige Entwicklung. Früher hat man Fotos von Landschaften und Sehenswürdigkeiten gemacht. Diese Bilder wurden auch hergezeigt und nach langer Zeit wiedermal betrachtet, um sich
an damals zu erinnern. Heute ist das anders. Denn heute gibt es das: Selfie.
Das eigentliche Hauptobjekt wird zum Hintergrundobjekt. Den meisten Platz nimmt jetzt nämlich das eigene Gesicht ein. Wie schön. Die Erinnerung an damals wird sich auf die Erinnerung beschränken, wie man damals ausgesehen hat. Aber so weit wird es nicht kommen. Denn diese Bilder haben gar nicht den Zweck, den Moment für die Zukunft einzufangen. Es geht auch nicht darum, dass man etwas Schönes sieht, das man mit allen teilen möchte. Es geht um die Botschaft „Ich bin toll, weil ich dort bin“, und das sollen alle wissen. Und zwar jetzt gleich. Das Selbstportrait wird zur Selbsttäuschung. Denn es zeigt nicht die wahre Identität, sondern nur das, für was man gehalten werden möchte. Mit jedem Selfie wird das Fremdbild größer. Und damit auch die Scheinidentität. „Ich werde gesehen also bin ich“ scheint die moderne Form der Selbstfindung zu sein. Die Konsequenz daraus ist, dass sich das Selbstbild vom Fremdbild ableitet. Dieser Trend soll aber auch nicht dramatisiert werden. Immerhin motiviert das Selfie zu gewissen Aktivitäten, die man sonst nicht machen würde. Und diese Erlebnisse sind echt und nicht eingebildet. Auch wenn das Motiv dahinter fragwürdig ist: Machen Sie Ihre Selfies. Aber erinnern Sie sich auch an den, der Sie noch sind. Der vielleicht nicht so cool und erfolgreich ist – und genau deshalb Ihre Aufmerksamkeit braucht.
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